Ein zweiter Landsitz soll her: Earnest & Algernon goes fremd
Earnest: Algernon, mein Bester, zurzeit kann ich mich wirklich nicht beklagen. Ich habe zwar eine anstrengende Zeit hinter mir, aber all die Arbeiten und Renovierungen, die ich im letzten Jahr an meinem Landsitz vorgenommen habe, zahlen sich nun aus: jeden Morgen freue ich mich, wenn durch die neue Glasfront die Sonne hineinscheint, meine Gäste meinen, dass sich der Tee im ausgebauten Salon besser denn je genießen lässt, und die neu gepflanzten Blumen überall im Garten – einfach herrlich, alleine von dem Duft bekomme ich gute Laune!
Algernon: Mein lieber Freund, es freut mich sehr, dass deine Investitionen sich gelohnt haben und du nun so ausgiebig davon profitierst! Dann hast du ja ganz offenkundig die richtige Entscheidung getroffen.
Earnest: Tatsächlich, ja, und selbst auf mein Personal scheint sich das Ganze auszuwirken. Du wirst es kaum glauben, aber meine Maßnahmen rufen wahre Wunder hervor! Die Haushälterin ist beim Wischen der neuen Möbel so flink und bemüht, dass der Staub gar keine Gelegenheit mehr hat, sich abzusetzen; und der Koch übertrifft sich, seitdem ich die moderne Küchenzeile habe einsetzen lassen, regelmäßig selbst!
Algernon: Das kann ich mir sehr gut vorstellen! Schön, dass du erkennst, wie wichtig diese Dinge auch für die Menschen sind, die tagtäglich für dich arbeiten. Du hast schon viel gelernt, mein treuer Freund – bestens! (Lächelt zufrieden)
Earnest: Nun ja, Algernon, bestens, eigentlich hast du Recht. Die Sache ist die: Mir gehen nun die Herausforderungen aus. Es ist ja alles schön und gut, doch statt die Vollkommenheit zu genießen, fange ich an, mich ganz schrecklich zu langweilen… Jetzt, da ich sehe, wie gut hier alles funktioniert, brauche ich ein neues Projekt.
Algernon: Ein neues Projekt? Wie meinst du das? So etwas lässt sich ja nicht einfach aus dem Boden stampfen …
Earnest: Nein, natürlich nicht. Aber ich habe mir dazu schon Gedanken gemacht und meine Entscheidung steht fest: Ich werde mir einen zweiten Landsitz zulegen; Am Meer vielleicht, oder in den Bergen. Zu der flachen Landschaft hier brauche ich ohnehin mal Abwechslung und es wird mir gut tun, einen zweiten Freundeskreis aufzubauen. Mit den Menschen hier gehen mir nämlich langsam die Themen aus.
Algernon: Oh Earnest, so etwas solltest du nicht vorschnell beschließen! Denke gut darüber nach, wieviel Wert die Dinge haben, über die du dich da beklagst und was so eine Entscheidung für Konsequenzen mit sich brächte! Du weißt selbst, wieviel Arbeit so ein Landsitz macht. Stell dir nur vor, wie viel dazu käme, wenn du einen zweiten hättest! Und wie würdest du sie bewältigen, wenn du doch niemals an beiden zugleich sein könntest? Nimm mich als Beispiel mit meiner Stadtwohnung. Sie ist zwar klein, aber durch die vielen Auslandsreisen habe ich kaum Zeit, mich darum zu kümmern. Seit einem halben Jahr schaffe ich es nicht einmal, einen vernünftigen Handwerker zu finden, der meinen undichten Wasserhahn repariert.
Earnest: Ach Algernon! (Winkt abtuend mit der Hand) Für solche Dinge habe ich ja mein Personal! Gerade habe ich dir doch berichtet, wie wunderbar sie alles in der Hand haben. Auch die Instandhaltung dürfte also kein Problem sein. Und was deinen Wasserhahn betrifft, kann ich dir alleine aus meinem Dorf ein Dutzend Handwerker empfehlen, die ihn dir im Nu reparieren würden.
Algernon: Natürlich könntest du das. Du lebst ja nun schon ewig dort, verbringst den Großteil deiner Zeit in deiner gewohnten Umgebung, kennst jeden und bist gut vernetzt. Ich dagegen bin erst vor kurzem in diese Stadt gezogen, verbringe nur wenig Zeit hier und muss mir unter diesem erschwerenden Umstand mein Netzwerk erst einmal aufbauen. Du wirst schon sehen: Wenn du dich tatsächlich dazu entscheidest, einen zweiten Landsitz aufzubauen, wird es dir ähnlich gehen; erst Recht, wenn es dann darum geht, ihn in Schuss zu halten.
Earnest: Ach was, ich werde vor Ort schon geeignetes Personal finden. Hier hat es doch auch wunderbar geklappt und ich weiß ja nun aus Erfahrung, was es bedarf, um die Leute positiv und motiviert zu stimmen.
Algernon: Deinen Optimismus in allen Ehren; Ich fürchte allerdings, dass du es dir etwas zu einfach machst. Je nachdem, auf welchen Ort die Wahl für deinen zweiten Landsitz fällt, werden die Menschen dort in vielerlei Hinsicht sicher ganz anders ticken als in deinem Dorf. Wer weiß, ob frische Blumen, schöne Möbel und hochwertige Küchenausstattung für sie genau so ein Antrieb für gute und zuverlässige Arbeit sind, wie für deine jetzigen Bediensteten. Und woher nimmst du die Gewissheit, dass deine neuen Freunde dort sich nicht lieber in einem kleinen Café als in deinem großzügigen Salon treffen würden, um ihren Tee zu schlürfen?
Earnest: Mhmmm … (Wird nachdenklich) So habe ich das noch gar nicht gesehen ...
Algernon: … Ein zweiter Landsitz am Meer oder in den Bergen, daran möchte ich gar nicht zweifeln, kann dir bestimmt viel Freude bringen. Doch solltest du damit rechnen, dass du nicht alles nach deinen bisherigen Maßstäben umsetzen kannst und dich unvorhersehbare Hindernisse erwarten werden.
Earnest: Wie immer hast du wohl Recht. Ohne Bedacht könnte aus meinem neuen Projekt ganz schnell eine Last werden und dann wären viele Ressourcen und Energien, die ich in meinen jetzigen Landsitz gesteckt habe, vergebens gewesen.
Algernon: (Nickt bestätigend) Ganz genau, das hast du sehr richtig erkannt mein lernender Freund.
Earnest: Ich war wohl etwas übermütig. Zum Glück, lieber Algernon, hast du mich davor bewahrt, eine vorschnelle Entscheidung zu treffen. Den zweiten Landsitz möchte ich auf jeden Fall; aber ich werde mir nochmal gründlich überlegen, wo er sein soll. Und vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn ich mir vorab bei ein paar Kurzurlauben ein Bild der Menschen vor Ort mache.
Algernon: Das ist eine sehr kluge Entscheidung, Earnest. Trotzdem solltest du dir aber auch darüber im Klaren sein, das ein positiver erster Eindruck nicht gleich das Vertrauen ersetzen kann, das du deinem treuen Personal gegenüber über all die Jahre entwickelt hast.
Earnest: Puh… (Seufzt überwältigt) All diese Hürden! Das wird ja immer komplizierter! Ich sollte es mir vielleicht doch anders überlegen…
Algernon: Ach, Earnest! (Lacht) Wenn du dein Projekt beim ersten Hindernis gleich verwirfst, solltest du das tatsächlich besser tun. Aber wo ein Wille ist, ist ja bekanntlich auch ein Weg. Wer weiß, vielleicht wünscht sich der ein oder andere deiner vertrauten Bediensteten ja genauso Abwechslung, wie du es tust …
Earnest: Das mag gut sein, aber was soll mir das helfen?
Algernon: Nun, wenn dem so ist, könntest du darüber nachdenken, dir ihren Wunsch zu Nutze zu machen, indem du sie am Aufbau deines zweiten Landsitzes beteiligst – und sie womöglich im Anschluss dorthin versetzt. Auf diese Weise hättest du vor Ort Personen deines Vertrauens…
Earnest: … Was auch die Kommunikation um einiges erleichtern würde, wenn ich einmal nicht da bin!
Algernon: Ganz genau! Die erste Hürde hätten wir damit so gut wie überwunden. Wie ich schon sagte, erwarten dich bei so einem großen Vorhaben zwar sicher noch weitere. Aber wenn du von der Idee deines zweiten Landsitzes überzeugt bist, dann solltest du davor nicht zurück schrecken.
Earnest: Du hast Recht, die Überzeugung, die habe ich. Jetzt muss ich nur noch ein wenig an meinem Durchhaltevermögen arbeiten, frühzeitig auf mögliche Probleme achten und meine eigene Kreativität aktivieren, wenn es um deren Lösung geht.
Algernon: Richtig, und ich bin mir ganz sicher, dass deine Überzeugung dabei eine große Hilfe und Antriebskraft sein wird!