„Manchmal ist es sinnvoll eine Heilige Kuh zu schlachten …“: Veränderungen setzen neue Energien frei

igenda FACHMAGAZIN
[PDF Download, 361.04 KB]

Unternehmensnetzwerke wie Franchisesysteme müssen sehr sensibel auf den Markt reagieren, um zum Beispiel Marktführer ihrer Branche zu bleiben oder zu werden, sie müssen aber auch die Zufriedenheit ihrer Franchisepartner im Besonderen pflegen. Veränderungsprozesse unterliegen somit vielleicht schwierigeren Rahmenbedingungen als in klassischen Unternehmen, ihre Notwendigkeit ist aber gerade deswegen noch höher oder sogar langfristig existenziell. Doch wie geht ein System eine Heilige Kuh an?

forSYSTEMS hat dazu ein Interview geführt mit dem Organisations-Designer Carsten Thierbach über Veränderungsprozesse, die Relevanz von Unternehmenskulturen und wozu eine erlebbare Strategie beitragen kann.

FORSYSTEMS: Herr Thierbach, sehen Sie sich als Unternehmens-, Personal- oder Organisationsberater?
Thierbach: Im Kern sehe ich mich selbst als Kultur-, Entwicklungs- und Kommunikationsbe­rater für Organisationen und für Menschen in Veränderungssituationen. So wie ein Mensch geboren wird, lebt, sich verändert und auch stirbt, so geschieht dies auch im Wirtschaftskontext. Diese Phasen begleite und coache ich mit dem Expertenblick und gebe wertvolle Impulse und Interventionen zur Verbesserung. Ich bin immer unterwegs in den Handlungs-Räumen, um bestehende Interaktionsmuster einer Organisation zu erforschen, sichtbar zu machen und neue herzustellen.

FORSYSTEMS: Heute ist doch alles irgendwie Veränderung. Was lässt sich da gestalten?
Thierbach: Nicht-Veränderung gibt es nicht, richtig. Sich zu entwickeln ist ein Grundprinzip von Natur und Kultur. Im Wirtschaftskontext gibt es drei Level des Wandels:

  • 0. der Wandel „nullter“ Ordnung passiert so oder so, beispielsweise wenn ein Geschäftsführer ein Unternehmen verlässt, wird sich das Unternehmen auch ohne ihn weiter verändern.
  • 1. Beim Wandel 1. Ordnung geht es darum, wie man neue Prozesse und Arten der Zusammenarbeit bewusst organisiert.
  • 2. Beim Wandel 2. Ordnung geht es um viel grundlegendere Dinge, um das Erschaffen und Gestalten eines neues Bewusstseins: beispielsweise die Implementierung einer werteorientierten Arbeitsweise, einer performanceorientierten Kultur oder einer Vertrauenskultur oder auch die bewusste Gestaltung eines Veränderungsprozesses, z.B. die aktive Gestaltung eines Wandels von einer umsatzgetrie­benen Wachstumsstrategie zu einer kundenorientierten Strategie.

FORSYSTEMS: Was ist in der gefühlten Komplexität der Möglichkeiten und Zusammenhänge richtungsweisend?
Thierbach: Wer sich im Nebel zurechtfinden will, braucht einen guten Kompass. Und wer zur Realisation (s)einer Geschäftsidee Men­schen braucht, sollte sich auch mit der Kraft (s)einer Vision und mit dem Phänomen der Begeisterung beschäftigen.

FORSYSTEMS: Das wird nicht neu sein für die Führungskräfte, warum ist es trotzdem so schwer, diese Kräfte zu nutzen?
Thierbach: Neu ist das nicht. Aber es hapert an der konsequenten Umsetzung. Wir sprechen ja über das Feld der Beziehungen zwischen Menschen. Hier gibt es permanent etwas zu gestalten, um etwas besser zu machen. Menschen, die ehrlich und wertschätzend begeistert werden und sich angstfrei entfalten können, sind kreativer, innovativer und auch produktiver. Um Menschen zu begeistern braucht es entsprechende Rahmenbedingungen. Es geht auch um die Identifikation mit einer zukunftsgerichteten Vision, die Überzeugung von der Richtigkeit des Handelns, Orientierung über die Rahmenbedingungen des Handelns, Inspiration und Perspektive, also die Möglichkeit, partizipativ mit gestalten zu können.

FORSYSTEMS: Und wie sieht der Blick eines Organisations-Designers auf ein Unternehmen aus?
Thierbach: Individuelles Handeln und damit auch unternehmerisches Handeln basiert in den meisten Fällen immer auf einer Idee, einer Intention, einem Gedanken, einer Gelegenheit. Und dann auf einem sich entwickelnden kulturellen Rahmen, bestehend aus Leitbildern, Werten, offenen und verdeckten Regeln sowie weiteren Einflüssen (siehe Abb.), die die Vision Realität werden lassen. Ist dieses Gedankenmodell formuliert, geht es in die Umsetzung. Dann gilt es kontinuierlich Unterstützer zu finden. Das können Mitarbeiter sein, aber genauso Partner, Kunden, Kooperationspartner, Lieferanten, die Gesellschaft usw.. Leider vernachlässigen Organisationen mit der Zeit, diese Einflussfaktoren immer wieder ins Bewusstsein aller zu bringen. „Kulturarbeit“ ist nicht einfach im quantitativen Sinne messbar und damit noch nicht überall auf der Tagesordnung. Wir nehmen u. a. diesen prüfenden Blick ein und reanimieren die Sichtweise auf die Geschäftsidee und geben relevante Informationen für ein optimales Gestalten der Zukunft. Insgesamt beobachten wir, dass ein Sprechen über die Unternehmenskultur in den Chef-Etagen von Unternehmen immer öfter Einzug und damit „Raum“ erhält. Meiner Überzeugung nach wird die Unternehmenskultur zum Differenzierungsmerkmal im Aufmerksamkeitswettkampf.

FORSYSTEMS: Ein Aufmerksamkeitswettkampf um Partner, Mitarbeiter und Kunden?
Thierbach: Genau. Das Interessante ist, dass viele Unternehmen noch unterschiedliche Perspektiven auf den „Unternehmenskern“ haben und entsprechend sind viele Unternehmen auch strukturiert: Marketing, Corporate Communication, Call-Center, Employer-Branding usw.. Letztlich steht das Unternehmen aber für eine Vision oder Intention, hat ein entsprechendes Menschenbild und Werte definiert und im Optimalfall gibt es auch einen gesellschaftlich relevanten Sinn der Tätigkeit. Ein Friseur ist ja nicht nur ein Friseur, sondern verbessert das persönliche Wohlbefinden von Menschen und stärkt damit das Selbstbewusstsein. Das kommt unserer Gesellschaft zu Gute. Aber noch einmal im Detail: Die Kultur einer Organisation ist entweder der größte Vermögenswert oder die größte Belastung. Wer sind wir? Wofür stehen wir? Welchen Nutzen stiften wir in der Gesellschaft? Das sind die bedeutendsten Unterscheidungsmerkmale in Bezug auf die Performance einer Organisation. Starke, pulsierende Kulturen, geführt durch eine Vision und angetrieben durch Werte, wirken anziehend auf talentierte Menschen und inspirieren Partner und Mitarbeiter, die extra Meile zu gehen. Eine starke, positive Kultur schafft den inneren Zusammenhalt und fördert die Fähigkeit zu kollektivem Handeln durch den Aufbau von Vertrauen. Und damit ist Kulturentwicklung eine elementare Führungsaufgabe.

FORSYSTEMS: Herr Thierbach, alle sprechen von der Notwendigkeit zur Veränderung, aber alle spüren auch die Schwierigkeiten von Veränderungen. Was ist Ihr Tipp?
Thierbach: Wer sich mit Veränderung beschäftigt, darf nicht an die Unmittelbarkeit glauben. Man muss Komplexität und Ambiguität lieben. Veränderung ist immer auf unterschiedlichsten Ebenen herausfordernd, unberechenbar, emotional und sogar anstrengend. Wer sich aber die Mühe macht, sein Handeln aus der Zukunft zu denken, der wird viele Momente des Erfolges und der Dankbarkeit erleben.

FORSYSTEMS: In Systemen kann der Wunsch zur Veränderung von den Partnern kommen oder auch von der Zentrale initiiert werden. Wann sollten bei solchen Gestaltungsprozessen die Stakeholder eingebunden werden?
Thierbach: Je nachdem, um welche Art der Veränderung es sich handelt und woher der Impuls tatsächlich kommt und wie veränderungsaffin eine Organisation ist. Das lässt sich im Vorfeld diagnostizieren und dann lassen sich auch entsprechende Empfehlungen aussprechen. Und es stellt sich natürlich immer die Frage nach dem Umfang der Veränderung. Grundsätzlich brauchen Sie Klarheit über die geplante Veränderung und die konkreten Auswirkungen auf einzelne Personen. Diese gilt es dann zum richtigen Zeitpunkt zu involvieren und ihnen die Möglichkeit zur positiven Überprüfung zu geben. Ggf. wird dann noch etwas angepasst. Das ist eine Möglichkeit des partizipativen Vorgehens, die mittelfristig Vertrauen aufbaut. Wichtig ist immer die offene und frühzeitige sowie authentische Kommunikation. Veränderungen müssen erklärt werden und neues Verhalten so­wie neue Fähigkeiten müssen erlernt werden.  

FORSYSTEMS: Wie entsteht der Impuls zur Wandlung häufiger? Durch externe Einwirkung oder durch Eigeninitiative?
Thierbach: Es sind meistens existenzielle Erfahrungen, die einer grundlegenden Veränderung vorausgehen: Markteinbrüche, Patentausläufe, Vorstandswechsel, Experten-Mangel oder eine Änderung der Eigentumsverhältnisse. Manchmal auch der mutige Blick in die Zukunft. Zunehmend sehen wir Impulse aus Innovations-positionen, die als Stabsstellen eingerichtet werden und sich mit der Zukunft des Geschäftsmodells beschäftigen.

FORSYSTEMS: …oder mit den Ergebnissen von Befragungen?
Thierbach: Wenn ein Impuls zur Veränderung von Innen kommt, dann ist das für erfolgreiche Unternehmen immer elementar wichtig. Der nächste Schritt besteht dann darin zu erkennen, dass es sich um einen Impuls zu einem Veränderungsprozess handelt und dass es sinnvoll ist dieser Aufgabe die nötige Aufmerksamkeit – und damit Ressourcen – zukommen zu lassen. Oder auch nicht. In beiden Fällen muss das Management gleichermaßen kommunizieren. Denn man kann „nicht nicht kommunizieren“ und wenn ein Impuls von Innen nicht kommentiert wird, dann führt das zu Frustration. Damit entwickelt sich die „Veränderungs- und Kommunikationskompetenz“ zu einer ernst zu nehmenden Kompetenz für Führungsverantwortliche.

FORSYSTEMS: Veränderung ist nicht jedermanns Sache. Und oft erwarten Führungskräfte von den Mitarbeitern und Partnern Veränderungsbereitschaft, sind aber selber eher unbeweglich, oder?
Thierbach: Es herrscht zwar Einigkeit darüber, dass Veränderung stattfinden muss, aber kein Mensch lässt sich gerne von Dritten sagen, dass er sein Wohnzimmer anders einrichten sollte. Hier müssen wir nur einmal selbst unsere eigenen Gedanken bei dem Impuls „Fremdsteuerung“ spüren. Und da sind wir alle eben Menschen, egal ob Führungskraft, Systempartner oder Mitarbeiter. Fakt ist auch, dass wir evolutionsbiologisch Veränderung zunächst einmal als Bedrohung einstufen und damit mit unterschiedlichen Formen der Angst reagieren. Diese Angstphänomene finden Sie dann in Unternehmen statt: Flucht (meistens von wichtigen Mitarbeitern), Gegenwehr und Angriff (in sehr unterschiedlichen Ausprägungen), Totstellen und Abtauchen. Werden diese Phänomene nicht ernst genommen, können existenzielle Probleme für das Unternehmen entstehen. Aber Veränderungsbewusstsein lässt sich entwickeln und gestalten.

FORSYSTEMS: Der Wunsch zu einer Veränderung ist da, aber wie gelingt nun ein Veränderungsprozess?
Thierbach: Essenziell sind eine klare Planung und das inhaltlich und personell richtige Aufsetzen der Projekte. Dafür müssen die sich die Führungsverantwortlichen über das Zukunftsbild, das Geschäftsmodel, die Werte und das Leitbild, also die Rahmenbedingungen des Handelns einig sein. Ist dies nicht der Fall – und das ist zu Beginn nach genaueren Analyse fast immer so - wird kaum jemand den ganzen Weg mitgehen. Herrscht diese Einigkeit, dann geht es um die strategische Mobilisierung von einem Zukunftsbild. Für die Partner und Mitarbeiter ist eine konkrete Geschichte über das Zukunftsbild wichtig: was verändert sich, was verbessert sich für das eigene Umfeld, wie wird die Strategie erlebbar. Komplexe Strategie-Charts und „Wir müssen….“-Aufforderungen helfen dann nicht weiter.

FORSYSTEMS: Was kann man tun, wenn es im Unternehmensnetzwerk nicht vorangeht, mitunter Systemnehmer den Prozess blockieren?
Thierbach: Oft haben sich Menschen in einem Unternehmen gut eingerichtet. Und damit kommt das vorhin erwähnte Angst-Verhalten zum Einsatz. Ein Ansatz kann sein, eine Sub­kultur im Unternehmen zu schaffen. Man kann beispielsweise ausgewählten Mitarbeitern die Gelegenheit geben, das „neue Kleid“ des Unternehmens und der Umgangs- und Arbeitsweise schon mal auszuprobieren. Wichtig ist dabei auch die Auswahl dieser „Kultur-Botschafter“, denn bereits hier können bisher gültige „Regeln“ gebrochen werden. Wenn diese Subkultur wächst, kann sich eine hohe Veränderungs­dynamik von innen heraus entwickeln. Und jede Veränderung beinhaltet immer auch eine Trennung, aber auch in dieser Extremsituation gelten bestimmte Werte, die das Handeln beeinflussen sollten.

FORSYSTEMS: Was machen Sie, wenn Sie mit Unternehmen arbeiten?
Thierbach: Das ist sehr unterschiedlich. Wir konzipieren und begleiten kleine und große Veränderungsprozesse. Im J&P Team sind darüber hinaus auch noch Experten für Recruitment, die suchen die richtigen Menschen für die richtigen Aufgaben im richtigen Umfeld. Und wir arbeiten auch immer direkt mit den Menschen und entwickeln z. B. das Kommunikationsverhalten. Grundsätzlich lassen wir uns von folgender Frage leiten: „Was muss anders werden, damit es besser wird?“

Dazu ergründen wir den sozialen Raum, also die Unternehmenskultur, und machen das nicht Sichtbare bewusst. Es ist eine neugierige Suche nach Heiligen Kühen: Rituale, Interaktions- und Kommunikationswege, Entscheidungswege, Strukturen, Prozesse, Sprache, Glaubenssätze, Verhaltensweisen, Spezifikationen usw. Ein Beispiel: Jeder kennt die Situation, dass in offiziellen Meetings eine andere Sprachkultur herrscht als in der Büroküche. Es gibt also mindestens zwei Realitäten in Organisationen. Für gelungene Veränderungen wäre es doch wunderbar, diese unterschiedlichen Realitäten zu kennen und in Entscheidungen mit einfließen zu lassen. Es kann ja z.B. sein, dass ein bestimmter Regeltermin eine Menge an Energie und Zeitressourcen frisst und es auch andere Wege gibt, zu einem besseren Ergebnis zu kommen. Das mittlere Management weiß dies meistens besser als das TOP-Management – oder auch die Systemnehmer besser als die Zentrale. In solchen Fällen kann es Sinn machen, einen Regeltermin nicht mehr durchzuführen. Die Teilnehmer an dem Termin könnten ihre Ressourcen in Aktivitäten stecken, die das Unternehmen voranbringen. Und alle fühlen sich befreiter. Es ist in Veränderungssituationen oft hilfreich und bewegend, wenn eine dieser heiligen Kühe geschlachtet wird – das setzt neue Energien frei.

FORSYSTEMS: Gibt es Organisationsformen, bei denen Veränderung besser gelingt als bei anderen?
Thierbach: Es gibt durchaus veränderungsgeübte Kulturen. Wichtig ist, dass zur Veränderung auch die Stabilisierung gehört. Auch hier definiert die Unternehmenskultur den Handlungsrahmen. Veränderung braucht immer auch Geduld gedeihen zu können. Und wo nur noch Veränderungsstimmung und Change-Projekt-Überfluss herrschen, lässt sich immer weniger das Ergebnis des Handelns genießen. Es geht ja maßgeblich auch um den Genuss des Erfolges. Jeden erfüllt das gemeinsame Erlebnis, wenn etwas gelingt und wächst. Wenn das gesamte Team einen weiteren Gipfel erklommen hat und dieses Gefühl des Erfolges und persönlichen Wachstums auch genießen kann.

FORSYSTEMS: Gibt es Kennzeichen, wann ein Veränderungsprozess Leichtigkeit erhält? Die Kuh ist tot, Wiederbelebung nicht möglich, die Vision bei allen scharf und deutlich erkennbar?
Thierbach: Ich würde es so beschreiben: Groß denken, klein handeln. Am Anfang braucht es Kopf, Herz und Zeit, um ein gutes und durchdachtes Konzept zu erstellen. Für die Umsetzung machen dann kleine transparente Schritte Sinn. Hinzu kommt dann bei der Umsetzung, die Offenheit aus den Ergebnissen der Umsetzung kontinuierlich zu lernen und ggf. auch die vorher gedachte Konzeption anzupassen. So lassen sich dann kontinuierlich Erfolge schaffen, die zum weiteren Voranschreiten motivieren.  

FORSYSTEMS: Auch für Sie als begleitender Coach ein wichtiger Moment, der Ihnen für neue Herausforderungen auch immer wieder neue Motivation gibt?
Thierbach: Aber ganz sicher. Jede Veränderungssituation muss über eine Schwelle. Aus der eigenen Erfahrung weiß ich, dass die Schwelle manchmal sehr hoch ist. Und je mehr Beteiligte vorhanden sind, desto ambivalenter ist die Schwelle. Wenn sie dann aber überschritten ist, dann entstehen Dynamik, Perspektive und auch Glücksmomente. Für alle am Prozess Beteiligten. Diese Gipfelerfahrung dann bewusst mit allen zu genießen motiviert weiter voranzuschreiten.

Vielen Dank für das Interview.

igenda Fachmagazin

Expertenartikel

2 + 6 =
Bitte tragen Sie das Ergebnis ein, es verhindert das automatisierte Absenden durch robots.